“Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.”
(Dietrich Bonhoeffer)
Was ist Fehlerkultur?
Der Begriff Fehlerkultur bezieht sich auf die Vorgehensweise, wie Unternehmen oder Organisationen, Kulturen, Gesellschaften oder soziale Systeme mit Fehlern und Versäumnissen umgehen. Sie beinhaltet die Werte, Praktiken und Einstellungen eines Unternehmens im Hinblick auf Fehler und deren Auswirkungen.
Besteht eine positive Fehlerkultur, werden Fehler nicht als Schuld oder Versagen betrachtet. Im Gegenteil, Fehler werden vielmehr als Möglichkeiten zur Verbesserung und als Grundlage für Innovationen gesehen. Im besten Fall werden Mitarbeiter dazu ermutigt, Fehler offen darzulegen, um aus ihnen zu lernen und im Anschluss gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Gute Fehlerkultur fördert die Kreativität, das Lernen und die Leistungsfähigkeit einer Organisation und aller Mitarbeiter.
Konstruktive Fehlerkultur
Konstruktive Fehlerkultur befasst sich mit dem Erkennen von Fehlern und deren Analyse und Optimierung. Gegenüber einer Fehlerkultur, die aufgetretene Fehler sanktioniert, werden in einer konstruktiven Fehlerkultur Fehler akzeptiert und zur Weiterentwicklung genutzt. Konstruktive Fehlerkultur erfordert die Einbeziehung aller am Problem Beteiligten und stellt nicht die Person, bei der ein Fehler aufgetreten ist, in den Fokus.
Wichtige Elemente einer konstruktiven Fehlerkultur sind Akzeptanz von Fehlern, Sanktionsfreiheit und ein Prozess, bei dem Fehler als Teil von Lern- und Entwicklungsprozessen verstanden werden.
Die destruktive Fehlerkultur dagegen hält Mitarbeiter davon ab, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen und Risiken einzugehen. Unternehmen sind daher gut beraten, eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren, Mitarbeiter zu ermuntern, aus Fehlern zu lernen und so Innovationen zu fördern.
Destruktive Fehlerkultur
Bei einer destruktiven Fehlerkultur werden Fehler als etwas Negatives angesehen und Mitarbeiter abgestraft, wenn ihnen ein Fehler unterläuft. So werden Führungskräfte und Mitarbeiter davon abgehalten, Verantwortung zu übernehmen und Risiken einzugehen. Destruktive Fehlerkultur wird in vielen Unternehmen als eine Kultur der Angst wahrgenommen. Diese Angst wirkt lähmend und verhindert, dass Neues ausprobiert wird.
Merkmale einer destruktiven Fehlerkultur sind:
- Fehler werden möglichst verheimlicht
- Mitarbeitern wird Schuld zugewiesen
- Mitarbeiter werden für Fehler zur Rechenschaft gezogen
- Fehler werden als Makel empfunden
- Mitarbeitende schämen sich für ihre Fehler
- Fehlende Sanktionsfreiheit
- Fehlende Prozesse, die es ermöglichen, aus Fehlern zu lernen
Eine destruktive Fehlerkultur hat auch Auswirkungen auf das Vertrauen innerhalb eines Teams, eines Unternehmens oder einer Organisation. Es herrscht Misstrauen anstelle von gegenseitiger Unterstützung und Offenheit. Wenn Fehler bestraft oder Mitarbeiter bloßgestellt werden, führt das zu einer Kultur des Versteckens, die Kreativität und Innovationen im Keim erstickt.
Warum ist es wichtig, aus Fehlern zu lernen?
Fehler haben eine Sinn. Fehler zeigen uns, dass Dinge neu überdacht und nachbearbeitet werden müssen. Fehler ermöglichen es zu lernen. Ausprobieren und dabei Fehler zu machen ist für Innovation und Fortschritt unumgänglich. Wenn zum Beispiel Kinder laufen lernen, fallen sie immer wieder hin und stehen immer wieder auf. Sie lernen aus Fehlern, entwickeln eine Frustrationsgrenze und finden Lösungen, wie es besser funktioniert. So lernen Kinder mit viel Spaß und Schwung laufen, ganz alleine durch ihre eigenen Erfahrungen. Sie lernen es durch Ausprobieren.
Fehler können also zweifellos motivierend wirken, für Privatpersonen, für Mitarbeiter in Unternehmen ebenso wie für Führungskräfte. Voraussetzung ist allerdings eine konstruktive Fehlerkultur, bei der achtsam mit Fehlern umgegangen wird.
Die Lebensgeschichten mancher bekannter Persönlichkeiten zeigen deutlich, dass sie alle durch eines verbunden sind: die Motivation, nach einem Fehlschlag noch einmal einen Versuch zu starten. Walt Disney ging in den 1920er Jahren mit einem Unternehmen in Konkurs. Doch kurz darauf gelang ihm dann doch der Durchbruch. Es lohnt sich also, neben Erfolgen auch die Zeiten zu sehen, die von Rückschlägen geprägt waren.
Die Harvard Business School hat zudem in einer Studie aufgezeigt, dass es die Motivation und Zugehörigkeit im Team verbessern kann, wenn Teammitglieder ehrlich und offen über eigene Fehler sprechen. Wenn wir über unsere Momente der Angst vor Versagen offen sprechen, ermöglichen wir es unserem Gegenüber, empathisch zu sein. Es macht nachvollziehbar, wie es ist, zu scheitern.
“Scheitern ist einfach nur eine Möglichkeit, es noch einmal zu versuchen.”
(Henry Ford)
Drei Gründe für eine positive Fehlerkultur
1. Vertrauen fördern durch das Eingestehen von Fehlern
Wenn Teammitglieder ihre Fehler eingestehen und sich dabei sicher fühlen, keine Vergeltungsmaßnahmen befürchten zu müssen, fördert das eine Umgebung, in der Probleme effizienter in Angriff genommen und Lösungen gefunden werden können. Positive Fehlerkultur fördert die psychologische Sicherheit und das Vertrauen innerhalb eines Unternehmens oder einer Organisation. Die Unternehmen können sich so auf die Suche nach Lösungen machen und sich auf die Umsetzung notwendiger Änderungsmaßnahmen konzentrieren, ohne Ressourcen und Zeit damit zu verschwenden, Fehler zu vertuschen oder zu ignorieren.
2. Transparenz
Der Schwerpunkt in einer positiven Fehlerkultur liegt auf Transparenz und offener Kommunikation. Tritt ein Fehler auf, wird das als Möglichkeit zum Lernen gesehen und nicht als Fundament für Schuldzuweisungen und Bestrafungen. Hier wird der Einzelne ermutigt, seine Fehler anzusprechen und sie mit dem Team zu bearbeiten. Transparenz ermöglicht es allen Beteiligten, Möglichkeiten für Verbesserungen zu erkennen, Fehlerursachen zu verstehen und wirksame Korrekturen durchzuführen. Dieser fortlaufende Lern- und Verbesserungskreislauf stärkt die Widerstandsfähigkeit und Gesamtleistung der Organisation.
3. Chancen für Innovationen
Eine positive Fehlerkultur schafft ein Klima, in dem die Teammitglieder gerne Neues ausprobieren und Grenzen überschreiten. Mitarbeitende werden ermutigt, neue Ansätze zu testen und Risiken einzugehen. Fehler nicht als Misserfolge zu sehen, sondern als Lernchancen zu betrachten, ermuntert die Mitarbeiter zu kreativem Denken. Unternehmen können durch die Förderung einer kalkulierten Risikobereitschaft innovative Lösungen entdecken, die im anderen Fall eventuell unentdeckt bleiben würden. Diese Einstellung macht es Organisationen möglich, sich rasch an veränderte Marktbedingungen anzupassen und somit beweglicher, agiler und wettbewerbsfähiger zu werden.
Positive Fehlerkultur im Unternehmen etablieren
In einer positiven Fehlerkultur geht es nicht darum herauszufinden, wer für den Fehler verantwortlich ist, sondern sich die Frage zu stellen, warum er passieren konnte. Der bisher übliche Umgang mit Fehlern ist es, die verantwortliche Person zur Rechenschaft zu ziehen. Doch wir haben es schon als Kinder gelernt: Strafen sind kein gutes Mittel, um Fehler zu vermeiden. Sie helfen selten gegen systematische Fehler. Besser ist es zu lernen, mit Fehlern positiv umzugehen. Positive Fehlerkultur bedeutet also die Akzeptanz von Fehlern. Fehler sind somit kein Rückschlag. Sie sind ein Teil des Weges in die Zukunft.
Positive Fehlerkultur in Unternehmen wächst jedoch langsam. Sie kann nicht im Hauruck-Verfahren von heute auf morgen eingeführt werden. Aber gut durchgeplant und mit den richtigen Maßnahmen kann das Wachstum durchaus beschleunigt werden.
Sechs Tipps, die helfen eine positive Fehlerkultur einzuführen
1. Analyse
Zunächst ist es von Vorteil, sich erst einmal Zeit zu nehmen und sich Fragen zu stellen, wie bisher im Unternehmen mit Fehlern umgegangen wird.
- Was oder wer ist für den Fehler verantwortlich?
- Wer darf einen Fehler melden?
- Wie werden Fehler gemeldet?
- Wie wird mit Fehlermeldungen umgegangen?
- Wer ist für die Fehlerbehebung verantwortlich?
- Haben die Mitarbeitenden Angst, Fehler einzugestehen?
2. Einen Prozess zur Fehlerbearbeitung festlegen
Im Falle eines Fehlers sollte dieser in einem genau definierten Prozess gemeldet werden. Dieser sollte natürlich so kurz wie möglich gehalten werden. Hierbei ist es besser, mehrere Beteiligte gleichzeitig zu informieren und in einem Team zusammenzufassen. Ein Meldeformular vereinfacht den Prozess, in dem bereits Ideen zur Ursache und Vorschläge zur Vermeidung festgelegt werden können.
3. Ein Belohnungssystem einführen
Um Mitarbeiter zu ermutigen, auf Fehler aufmerksam zu machen oder einzugestehen, kann ein Belohnungssystem etabliert werden. Das kann parallel zu einem innerbetrieblichen Vorschlagswesen gut funktionieren. Selbst wer für einen Fehler verantwortlich ist, kann, wenn dieser nicht vorsätzlich oder fahrlässig gemacht wurde, gelobt werden. Fehler machen kann eventuell sogar dabei helfen, zukünftige Abläufe zu verbessern.
4. Testläufe
Bevor eine neue Fehlerkultur im gesamten Unternehmen eingeführt wird, sollte das System zunächst in einem Teilbereich, einem Team oder einer Abteilung ausprobiert werden. Ein Testlauf kann zeigen, ob die festgelegten Prozesse funktionieren. Teammitglieder können so herausfinden, ob sie die Fehler richtig erkennen und dokumentieren.
5. Mitarbeiter schulen
Eine positive Fehlerkultur umzusetzen braucht Zeit. Mitarbeiter und Teammitglieder müssen entsprechend geschult werden. In Workshops oder Coachings können sie lernen, wie der Prozess der Fehlermeldung funktioniert, und in einem spielerischen Umfeld Fehler machen, erkennen und bearbeiten.
6. Schlüsselrolle Führungskraft
Bei der Einführung einer positiven Fehlerkultur kommt den Führungskräften eine Schlüsselrolle zu. Führungskräfte müssen den Mitarbeitern die gewünschte Fehlerkultur vorleben. Das bedeutet auch, dass sie eigene Fehler offenlegen und die Teammitglieder auffordern, sie auf ihre Fehler hinzuweisen. Führungskräfte brauchen dazu ein großes Selbstvertrauen. Sie müssen in der Lage sein, ihre eigene Fehlbarkeit zu zeigen und negatives Feedback ihrer Mitarbeiter ehrlich anzunehmen. Im Anschluss können sie dann aufzeigen, was sie und das gesamte Unternehmen aus dem Feedback lernen.
Über den Autor - Sebastian Wächter
Sebastian Wächter hat als 18-Jähriger die radikalste Veränderung seines Lebens erfahren. Er stürzt beim Wandern und bricht sich das Genick. Seitdem sitzt er im Rollstuhl - er ist querschnittsgelähmt und kann weder seine Beine noch seine Finger bewegen. Auch ein Großteil seiner Armmuskulatur ist gelähmt. Dennoch gelingt es ihm, sich ein eigenständiges Leben und seine Selbstständigkeit zurückzuerobern. Er hat über Jahre ein Mindset entwickelt, durch das er es geschafft hat, große Herausforderungen zu meistern und ein erfolgreiches Leben zu führen. Die Grundlage hierfür war allerdings ein langer Weg zur Akzeptanz seines Schicksals, erst hierdurch startete seine erfolgreiche Veränderung. Heute ist Sebastian Keynote Speaker und gibt Unternehmen Impulse, wie aus Veränderung auch Fortschritt werden kann. Er wurde inzwischen mehrfach ausgezeichnet und gehört zu den "Top-100-Speakern" von Speakers Excellence. Ebenso unterstützt er als Coach Privatpersonen im Umgang mit Veränderung. Sein neues Buch trägt den Titel „Change Mindset“.
Fazit
Eine offene Fehlerkultur in Unternehmen oder Organisationen zu etablieren bedeutet, Fehler sachlich zu reflektieren und konstruktiv mit Fehlern umzugehen. So können alle Teammitglieder aus Fehlern lernen und sich weiterentwickeln. Wenn Fehler wie beispielsweise Fehlverhalten im Umgang mit Kunden, teure Fehlkalkulationen oder fachliche Fehleinschätzungen nicht offen kommuniziert werden - vielleicht aus Angst vor Sanktionen - kann das gravierende Folgen haben. Fehlentwicklungen im Unternehmen werden so zu spät erkannt.
Andererseits werden Innovationen nur dann möglich, wenn das risikofreudige Ausprobieren höher geschätzt wird als die Vorgabe, dass alles perfekt laufen muss. Hier einen Wandel in der Unternehmenskultur einzuleiten, ist die Aufgabe von Führungskräften. Sie können mit diversen Maßnahmen dafür sorgen, dass das große Ziel erreicht wird: eine positive Fehlerkultur etablieren, in der Fehler als nutzbringend angesehen werden können und so das Lernen, die Kreativität und Leistungsfähigkeit aller Beteiligten fördern und Innovationen vorantreiben.