Achtsamkeit - Insel der Ruhe im Sturm

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Die Gedanken rasen - zwischen Meetings und Familientreffen wünschen sich viele Menschen Ruhe, doch die Zeit ist knapp. Achtsamkeit ist ein denkbar einfacher und trotzdem wirksamer Entschleuniger. Erfahren Sie hier, was Achtsamkeit ausmacht, welche Rolle sie im beruflichen Alltag spielt und wie man Achtsamkeit lernt.

Was ist denn eigentlich Achtsamkeit?

“Hast du denn schon eine Achtsamkeitspraxis?” Oder: “Hast du dich einfach mal auf deine Sinneseindrücke konzentriert?” “Ich atme immer mal wieder sehr bewusst ein und aus.”  Diese Fragen und Aussagen mögen vielen Menschen mittlerweile nicht mehr sonderlich unbekannt vorkommen. Die Achtsamkeit hat eine Welle der Begeisterung ausgelöst und viele Unternehmen verfügen mittlerweile über Programme zum Erlernen von Achtsamkeit. Doch was ist Achtsamkeit eigentlich?

Achtsamkeit bezeichnet einen Zustand der Gegenwärtigkeit, in dem Menschen die Umwelt, ihren Körper oder ihr Innenleben wahrnehmen, ohne ihre Beobachtungen zu bewerten. Im Laufe der Zeit gelingt es ihnen dann zunehmend, den Einfluss von störenden Gedanken, Erinnerungen und Fantasien während dieser Beobachtungen zu reduzieren. Sie befinden sich sozusagen in einem Bewusstsein des "Gewahrseins", in dem sie sich nur schwer ablenken lassen. Achtsamkeit ist also eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit, die den Windmühlen unserer Gedanken den Wind nehmen soll.

Die Wurzeln der Achtsamkeit

Die Geschichte der Achtsamkeit geht auf den Buddhismus und seine Meditationstechniken zurück. Im Pali, einer Literatursprache des südostasiatischen Buddhismus, heißt Achtsamkeit “sati”. Sati beschreibt die Qualität des Bewusstseins und meint so viel wie ein Geist, der in vollem Umfang sich dessen gewahr ist, was in ihm gegenwärtig ist. Breitflächigen Einzug in die westliche Welt erhielt das Konzept durch die Arbeiten des Molekularbiologen John-Kabat Zinn, der in den 1970er Jahren das medizinische Achtsamkeitstraining “Mindfulness-Based Stress Reduction” entwickelte. Früh Anwendung fand das Prinzip der Achtsamkeit auch in der Psychotherapie, wo man das Thema in den 80er und 90er Jahren integrierte. Was sich durch die beiden Anwendungsbereiche jedoch gleich feststellen lässt: Achtsamkeitspraxis ist keineswegs gleichzusetzen mit philosophischen und religiösen Thematiken. Der Ursprung der Achtsamkeit mag das zwar nahelegen, aber heute wird es in vielen Bereichen ohne entsprechenden Überbau integriert. Im Gegenteil: Vielmehr wird Achtsamkeit heute um wissenschaftliches Wissen aus der Psychologie und der Stressforschung ergänzt.

Warum Achtsamkeit und Beruf gut zusammenpassen

Vor einigen tausend Jahren sprach Buddha, ohne die Errungenschaften und Eigenschaften der modernen Welt zu ahnen, vom sogenannten “monkey mind”. Die Idee dieses Äffchen kann man sich folgendermaßen vorstellen: In unserem Kopf springt ein kleiner, wilder Affe von Ast zu Ast, von Gedanke zu Gedanke und kommt nicht zur Ruhe. Tunnelblick: Projekte, Meetings, Steuererklärung, Handwerkertermin - es hört einfach nicht auf. Der treue Begleiter neben dem Terminkalender auf dem Smartphone ist dann irgendwann Stress. Stress, der sich in endlosen und ablenkenden Gedanken an die Vergangenheit und die Zukunft äußert. Was fehlt also dem Äffchen oder besser gesagt den Menschen? Entschleunigung, Ruhe und Besinnung - oder einfach Achtsamkeit - eine effektive Methode, um den Stress zu bändigen, um nicht nur die Arbeit auch mal wieder genießen zu können, sondern auch in der Freizeit wieder ganz bei Sinnen zu sein.

Das Potential von Achtsamkeit ist nicht unbemerkt geblieben: Große Unternehmen wie Google, SAP, Bosch und Continental haben Achtsamkeit zum Gegenstand ihres betrieblichen Gesundheitsmanagements gemacht. Physische und mentale Gesundheit ist das Gebot der Stunde. Außerdem geht es in der heutigen Arbeitswelt eben um mehr als nur Aufstiegschancen und attraktive Vergütung. 2007 entwarf Google unter der Beteiligung von Achtsamkeits-Koryphäe John-Kabat Zinn ein eigenes Achtsamkeitsprogramm mit dem Namen “Search inside yourself”. Die obengenannten Unternehmen wenden dieses Programm mittlerweile erfolgreich an. Die Studienlage zu Achtsamkeitstrainings ist gut: Achtsamkeit führt zu emotionalen, kognitiven und physischen Veränderungen, die sich positiv auf Kreativität, Gemeinschaftsgefühl, Engagement und vieles mehr auswirken. Der Organisationspsychologe Richard Boyatzis stellt Achtsamkeit sogar als Managementkompetenz heraus: Die durch Achtsamkeit entstande Selbsterkenntnis ermöglicht Flexibilität in den eigenen Reaktionen und vergrößert damit die Handlungsfähigkeit. Denkt man nur, bedingt durch die Aufgabenbreite, an die Vielzahl der Situationen denen sich ein Manager ausgesetzt sieht, ist der Vorteil einer größeren Handlungsmöglichkeit offensichtlich.

Wie lässt sich nun aber Achtsamkeit im beruflichen Alltag umsetzen? Es gibt viele Situationen, in denen man Achtsamkeit am Arbeitsplatz anwenden kann. Zunächst lässt sich der Auftakt der Arbeit genauer unter die Lupe nehmen: Gerade am Arbeitsplatz angekommen, Rechner hochgefahren, die Tasche abgestellt und direkt das Postfach checken? Nein, in der Ruhe liegt die Kraft. Die Tasche sorgfältig an ihren gewohnten Platz stellen, sich auf den Bürostuhl setzen und das Körpergefühl des Sitzens wahrnehmen, dann die Gedanken langsam werden lassen, bewusst einige Atemzüge nehmen und einmal den groben Plan für den Tag durchgehen. Wenn das gemacht ist, kann der Computer gestartet werden

Eine andere Möglichkeit besteht darin, in stressigen Situationen zu üben, einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Ereignisse haben sich überschlagen, der Puls rast und auf der Stirn bildet sich ein leichter Kranz? Jetzt nicht direkt Gedanken auf Gedanken denken, sondern erstmal wie beim ersten Sitzen beim Arbeitsbeginn den Körper wahrnehmen, denn oftmals bemerken wir den rasenden Puls gar nicht. Dann stellt man beispielsweise eine erhöhte Körpertemperatur fest und ein Ziehen in der Magengrube. Diese körperlichen Signale weisen dann darauf hin, dass jetzt normalerweise der Moment für Stress gekommen ist. Mit dem Innehalten kann aber wieder eine gewisse Klarheit und Souveränität zurückkommen: “Die Deadline wurde nicht verlängert? Stimmt, jetzt erinnere ich mich. Genauso war es auch vor einem halben Jahr!” Achtsamkeit ermöglicht in stressigen Situation das Fassen von beruhigenden Gedanken, die mehr Objektivität in eine chaotische Situation bringen und dem Stress den Wind aus den Segeln nehmen.

Ebenso gut kann man sich vorstellen, dass in einer hitzigen Kommunikation mit den Kollegen Achtsamkeit den Weg für mehr Verständnis und Empathie bahnt. Auch hier gilt, dass die Wahrnehmung von Reizen ein wichtiger Indikator ist, um die Situation anders als gewohnt zu lösen. “Die Stimme meiner Kollegin ist bedeutend lauter geworden. Außerdem hat sie die Arme verschränkt.” Aufgrund dieser Beobachtungen kann es gelingen, mehr Perspektiven in die Situation zu bringen und Teamkonflikte lösungsorientierter zu gestalten.

Achtsamkeit im Unternehmen

Wie wirkt Achtsamkeit?

Seit dem Einzug der weltlichen Form der Achtsamkeit in die Gesellschaft ist sie Gegenstand vieler wissenschaftlicher Untersuchungen und der modernen Hirnforschung. Es werden nicht nur Veränderungen der Hirnstruktur und -funktion berichtet, sondern auch verbesserte Stimmung. Außerdem hilft Achtsamkeit bei chronischen Schmerzen und Angstzuständen. Nicht zuletzt wurden auch Verbesserungen der Konzentration und besserer Umgang mit Problemen und Belastungen berichtet. Die Bandbreite ist also durchaus beachtlich und mittlerweile werden Achtsamkeitstrainings sogar von Ärzten verschrieben. Achtsamkeit wirkt allerdings sehr unterschiedlich - ob Sie von einer Achtsamkeitspraxis profitieren können, ist also nicht pauschal zu beantworten. Unterm Strich berichten viele Praktizierende von Verbesserungen der Gesundheit und des Wohlbefindens.

Das Praktizieren von Achtsamkeit wirkt auf ein Hirnareal (den dorsalen anterioren cingulären Kortex), das den Gehirnbereich, der für höhere kognitive Funktionen zuständig ist, wie Denken, Planen und Problemlösen mit dem sogenannten limbischen System verbindet, was auch generell als das emotionale Zentrum unseres Gehirns bezeichnet wird. Dieses verbindende Hirnareal ist in die Aufmerksamkeitskontrolle involviert - da die Aktivierung und Deaktivierung der Aufmerksamkeit als Basis der Achtsamkeit anzusehen ist, passt dieser Wirkmechanismus sehr gut ins Bild. Darüber hinaus spielt die Insula im Gehirn eine wichtige Rolle, die für die Wahrnehmung unseres Körpers von Bedeutung ist. Man könnte also sagen, dass Achtsamkeit den Weg weg vom Kopf hin zum Körper bahnt und achtsame Menschen mehr in der Gegenwart verwurzelt sind, indem sie beispielsweise ihren Herzschlag spüren. Es ist durchaus realistisch, dass erste Wirkungen nach wenigen Stunden oder Wochen eintreten, aber die nachhaltigste Wirkung von Achtsamkeit tritt erst ein, wenn man seine Praxis kontinuierlich über Jahre aufrechterhält. Bei der Umsetzung können entsprechende Apps eine gute Hilfestellung sein.

Worauf wirkt Achtsamkeit

Über den Autor - Sebastian Wächter

Sebastian Wächter hat als 18-Jähriger die radikalste Veränderung seines Lebens erfahren. Er stürzt beim Wandern und bricht sich das Genick. Seitdem sitzt er im Rollstuhl - er ist querschnittsgelähmt und kann weder seine Beine noch seine Finger bewegen. Auch ein Großteil seiner Armmuskulatur ist gelähmt. Dennoch gelingt es ihm, sich ein eigenständiges Leben und seine Selbstständigkeit zurückzuerobern. Er hat über Jahre ein Mindset entwickelt, durch das er es geschafft hat, große Herausforderungen zu meistern und ein erfolgreiches Leben zu führen. Die Grundlage hierfür war allerdings ein langer Weg zur Akzeptanz seines Schicksals, erst hierdurch startete seine erfolgreiche Veränderung. Heute ist Sebastian Keynote Speaker und gibt Unternehmen Impulse, wie aus Veränderung auch Fortschritt werden kann. Er wurde inzwischen mehrfach ausgezeichnet und gehört zu den "Top-100-Speakern" von Speakers Excellence. Ebenso unterstützt er als Coach Privatpersonen im Umgang mit Veränderung. Sein neues Buch trägt den Titel „Change Mindset“.

Wie kann ich Achtsamkeit in meinen Alltag integrieren?

Achtsamkeit geht in der buddhistischen Praxis oftmals mit Meditationen einher. Daher ist eine achtsamkeitsbasierte Meditation wirkungsvolles Mittel und ohne viel Aufwand umsetzbar. Ein Anbieter am Markt, der sich besonders hervortut ist das gemeinnützige Center for Healthy Minds, das von dem berühmten Meditationsforscher- und experten Richard Davidson gegründet wurde. Seine Organisation stellt eine kostenlose App mit dem Namen “Healthy Minds” zur Verfügung, mit der NutzerInnen in die Welt der Meditation und Achtsamkeit eingeführt werden. Neben angeleiteten Meditationen werden immer wieder kurze “Podcasts” mit einer Länge von bis zu sieben Minuten eingespielt. Einer der großen Vorzüge der App ist neben der wissenschaftlichen Fundierung, die Auswahl von unterschiedlicher Zeitdauer (fünf Minuten bis eine halbe Stunde) und der Auswahl zwischen reiner Meditation oder einer Meditation während dem Ausführen anderer Aktivitäten. Die Achtsamkeitsübungen lassen sich also hervorragend in den Alltag integrieren und je nach zeitlichen Ressourcen variieren.

Ein weiterer gangbarer Weg ist die Teilnahme an einem offiziellen Kurs zu Mindful Based Stress Reduction nach John-Kabat Zinn. Diese Kurse werden unter anderem vom Verband der Achtsamkeitslehrenden MBSR und MBSC angeboten. Die Wahl eines offiziellen Verbandes dürfte dabei gegen die geringe Intransparenz auf dem Markt wirken. Besonders angesprochen sind Menschen, die nach effektiven Möglichkeiten suchen, Stress in ihrem Leben zu reduzieren. Darüber hinaus können aber auch bei psychischen oder psychosomatischen Beschwerden die Kurse durchaus wirkungsvoll sein. Auch wer lediglich einen aktiven Beitrag zum Aufrechterhalten der eigenen Ausgeglichenheit und Gesundheit leisten will, ist hier gut beraten. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass mittlerweile einige Krankenkassen die Kosten für zertifizierte Kurse übernehmen. Wenn Sie also daran interessiert sind, Ihren Umgang mit belastenden Gedanken und Gefühlen besser zu gestalten, ist hier durchaus Hilfe möglich.

Neben den Möglichkeiten, die durch Apps und Kurse vermittelt werden, gibt es allerdings auch eingängliche Methoden, die ohne Support von außen umgesetzt werden können. Jede Situation im Alltag ist eine Chance, Achtsamkeit zu praktizieren. So lassen sich beispielsweise Gelegenheiten wie Mahlzeiten oder das Aufstehen durchaus nutzen. Ziel ist es hierbei, den Moment möglichst im Hier und Jetzt zu verbringen. Die Wärme des Essens im Mund spüren, dann das Entfalten der verschiedenen Geschmacksaromen und schließlich das sich einstellende Sättigungsgefühl in der Bauchregion. Ablenkende Gedanken werden dabei nicht unterdrückt, sondern werden als willkommene Übungen betrachtet. Die Aufmerksamkeit wird nach jeder Ablenkung immer wieder auf den gegenwärtigen Moment gelenkt. Das erfordert kontinuierliche Übung, um dann auch länger in dem Zustand des Gewahrseins zu verharren. Es lässt sich abschließend feststellen, dass auch bei Achtsamkeitsübungen der Satz gilt: “Der stete Tropfen höhlt den Stein.”

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